Aspekte der palliativen Wundversorgung
Expertenwissen von Kerstin Protz
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Palliativmedizin als Methode zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihrer Familien, die Herausforderungen gegenüberstehen, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen.
Dabei stehen das Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitiges Erkennen, die gewissenhafte Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderer belastender Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art im Vordergrund [WHO-Definition nach Sepúlveda et al. 2002]. International hat sich hierfür der Begriff Palliative Care etabliert. In Deutschland werden oft die Begriffe Palliativmedizin, -betreuung oder -versorgung sowie palliative Pflege gleichwertig oder synonym verwendet.
Der Begriff palliativ stammt aus der lateinischen Sprache. Pallium ist der Mantel und das Verb palliare bedeutet, etwas mit einem Mantel schützend zu bedecken bzw. zu umhüllen. In diesem bildlichen Ausdruck liegt etwas wie Behutsamkeit, Wärme, Geborgenheit und Zuwendung im Umgang mit schwerstkranken Menschen. Die palliative Pflege begleitet Menschen aller Altersgruppen in ihrem letzten Lebensabschnitt. Die klassische Versorgungsform ist das Hospiz. Insbesondere für Menschen, die ihr gewohntes Umfeld nicht verlassen möchten, ist die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) eine wichtige Versorgungsoption.
Die Initiative Chronische Wunden (ICW) e. V. unterscheidet grundsätzlich zwischen akuten und chronischen Wunden, wobei letztere heilend, schwer heilend oder nicht heilbar sein können.
Bei der Behandlung von Menschen mit chronischen Wunden lassen sich drei übergeordnete Behandlungsziele unterscheiden [Dissemond et al. 2022]:
- Kurativ: Ziel ist die vollständige Abheilung der Wunde. Auf Basis einer adäquaten Diagnostik erfolgt eine Kausaltherapie, unterstützt durch eine lokale Wundtherapie.
- Bedingt bzw. nicht kurativ: Eine vollständige Wundabheilung kann nicht dauerhaft erzielt werden. Ursachen können z. B. persönliche Aspekte, Umgebungsfaktoren oder eine fortschreitende bzw. nicht behandelte Grunderkrankung sein. Bei diesen Patienten stehen andere Behandlungsansätze im Vordergrund, z. B. eine bestmögliche Lebensqualität und die Förderung des gesundheitsbezogenen Selbstmanagements.
- Palliativ: Unter Beachtung der Wünsche des Betroffenen erfolgt eine Symptomlinderung bzw. -kontrolle.
Tabelle 1 ordnet chronischen Wunden therapeutische Möglichkeiten und Zielstellungen zu.
Chronische Wunden und Behandlungsziele | |||
Heilende Wunden | Schwer heilende Wunden | Nicht heilbare Wunden | |
Ursache der Wunde | Wird behandelt | Kann potentiell behandelt werden | Kann nicht behandelt werden |
Übergeordnete Zielstellung | Kurativ | Bedingt bzw. nicht kurativ | Palliativ |
Tabelle 1
Zu den chronischen Wunden, die nicht mehr kurativ behandelt werden können, gehören:
- Wunden bei kritischer Ischämie ohne Möglichkeit einer Revaskularisation
- Diabetisches Fußulkus ohne Möglichkeit bzw. Fähigkeit zur Druckentlastung
- Wunden am Ende des Lebens, z. B. Dekubitus im Sterbeprozess
- Malignom-assoziierte Wunden
Die Bezeichnung „palliativ“ fasst alle therapeutischen und pflegerischen Maßnahmen zusammen, die nicht kurativ ausgerichtet sind, sondern auf die Linderung der Beschwerden und die Minderung der Auswirkungen auf die Lebensqualität des Betroffenen abzielen. Entsprechend legt auch die palliative Wundversorgung einen Schwerpunkt auf die Vermeidung und Linderung belastender und einschränkender Symptome. Hieran orientiert sich die Auswahl von Material, Methoden und Strategien. Im Vordergrund steht nicht die Wundheilung, sondern die Perspektive des Patienten inklusive Erlangung und Wahrung der Lebensqualität durch Selbstbestimmung, Würde und Schmerzfreiheit.
Solche Wunden entwickeln sich aufgrund einer Krebserkrankung. Malignom-assoziierte Wunden entstehen, wenn Tumorzellen die Haut durchbrechen. Sie gehen von einem primären Hauttumor, einem in darunter liegende Gewebeschichten einwachsenden Tumor oder Metastasen aus und können die Haut sowie die nahegelegenen Blut- und Lymphgefäße infiltrieren. Wenn das maligne Zellwachstum nicht zeitnah therapiert wird, beispielsweise durch Chemotherapie, Radiotherapie oder Operation, besteht die Gefahr der Schädigung des umgebenden Gewebes.
Abb. 1: Maligne Wunde, Copyright© Erwin Kiederle, Erkrath
Malignom-assoziierte Wunden entstehen bei 6–14 % der Menschen, die von einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung betroffen sind. Mit 49 % tritt fast die Hälfte aller Tumorwunden an der Brust auf. Weitere Lokalisationen sind zu 21 % der Hals, zu 18 % der Bauch, zu 17 % die Genitalien und zu 13 % der Kopf, 2 % befinden sich an anderen Körperregionen [S3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nichtheilbaren Krebserkrankung].
In einer Palliativsituation erfahren Betroffene oft Kontrollverlust, Hilflosigkeit und sind niedergeschlagen. Es kann zur Vereinsamung bzw. sozialer Isolation kommen. Ein Augenmerk liegt daher auf der psychosozialen Betreuung der Patienten und ihrer Bezugspersonen. Auf Basis von persönlicher Zuwendung und Einfühlungsvermögen für ein verständnis- und vertrauensvolles Miteinander wird die Unabhängigkeit der Betroffenen soweit möglich gefördert und Immobilität, Schonhaltungen sowie soziale Isolation werden vermieden.
Die Behandlung zielt darauf ab, Wundwachstum bzw. Gewebezerfall hinauszuzögern sowie Komplikationen zu vermeiden. So liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Linderung von wund- und therapiebedingten Einschränkungen. Hierzu zählen insbesondere Schmerzen, Körperbildstörungen, unangenehme Gerüche, hohe Wundexsudation, Juckreiz und Blutungen. Wie bereits beschrieben, liegt der Schwerpunkt der palliativen Wundversorgung nicht auf der Abheilung der Wunde. Im Fokus steht die Symptomlinderung unter Wahrung der Würde und Selbstbestimmung des Betroffenen sowie eine möglichst geringe Belastung seiner Lebensqualität durch die Behandlung. Somit ist die lokale Wundtherapie nur eine unterstützende Maßnahme. Die Auswahl von Verbandmitteln orientiert sich bei Malignom-assoziierten Wunden grundsätzlich an:
- Patientenbedürfnissen
- Schmerzaufkommen
- Wundstadium/-phase
- Infektionsanzeichen bzw. einer bereits bestehenden Infektion
- Exsudatmenge und -beschaffenheit
- Zustand von Wundrand und -umgebung
- Unangenehmen Gerüchen
Die Intervalle der Verbandwechsel orientieren sich an Patientenpräferenzen, Wundsituation und Herstellerangaben. Der Betroffene sollte die verwendeten Verbandmittel als akzeptabel empfinden und dadurch keine negativen Auswirkungen auf seinen Alltag verspüren. Malignom-assoziierte Wunden sollten nicht mit folienbeschichteten Verbandmitteln, z. B. Folienverbänden, Hydrokolloiden oder Schaumverbänden, versorgt werden. Solche Verbandmittel fördern und erhalten ein feucht-warmes Wundmilieu und unterstützen somit optimal das Zellwachstum und auf diese Weise gegebenenfalls auch das Wachstum der Tumorzellen. Bei der Versorgung von Malignomassoziierten Wunden kommt üblicherweise eine konventionelle Sekundärabdeckung, z. B. Saugkompresse oder Vlieskompresse mit Superabsorber, zum Einsatz.
TIPP!
Allerdings kann es Gründe geben, davon abzuweichen. Im Fokus stehen die Lebensqualität und die Wünsche des Betroffenen. So möchten Patienten möglicherweise mit ihren Angehörigen gemeinsam essen oder Besuch von Enkelkindern empfangen, werden aber durch Gerüche daran gehindert. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, kurzzeitig auch Folienverbände zu nutzen, um Gerüche zu bannen.
Nachfolgend werden symptomgerechte Versorgungsoptionen zur Linderung der typischerweise mit Malignom-assoziierten Wunden einhergehenden wund- und therapiebedingten Einschränkungen beschrieben. Die Angaben orientieren sich an der S3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung“ der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, die sich in Kapitel 15 den Versorgungsoptionen von Menschen mit malignen Wunden widmet.
Körperbildstörungen beachten
Das Entstehen und das Wachstum von Malignomassoziierten Wunden kann zu körperlichen Entstellungen führen, die es dem Patienten erschweren, den eigenen Anblick zu ertragen. Solche Wunden treten oft an intimen Regionen, wie der Brust oder an gut einsehbaren und nicht zu verbergenden Stellen, wie Gesicht oder Hals, auf. Die Betroffenen empfinden häufig einen Ekel vor sich selbst, der durch das Schamgefühl gegenüber anderen verstärkt wird. Neben den optischen Aspekten gehen solche Wunden oft mit üblen Gerüchen und hohen Wundexsudatmengen einher. Im persönlichen, wertschätzenden Gespräch wird ermittelt, in welchen Aspekten die Wundsituation das Körperbild negativ beeinflusst. Betroffen sein können die Sexualität, die Partnerschaft und die soziale Teilhabe. Auf Basis der hierbei ermittelten Vorstellungen und Bedürfnisse des Betroffenen können die Versorger Hinweise zur Bewältigung von Alltagsproblemen geben, z. B.:
- Kosmetische Aspekte: z. B. den Verband durch einen Schal oder ein Halstuch kaschieren oder eine modische Mütze tragen
- Anpassen der Kleidung: kein Tragen von enger, einschnürender Kleidung; bevorzugen von atmungsaktiver Kleidung; schwarze und weite Kleidung kaschiert Exsudatflecken
- Verhinderung und Behandlung von Infektionen zur Schmerz-, Exsudat- und Geruchsminimierung
Solche Gespräche dienen nicht nur der Sammlung von Informationen, sondern bieten dem Patienten die Gelegenheit, sich die Last von der Seele zu reden und können somit befreiend wirken. Wenn der Versorger sich im Rahmen der Therapie im Wesentlichen für die Wunde zu interessieren scheint, kann dies Körperbildstörungen und deren Konsequenzen verstärken. Daher sollten Versorger darauf achten, den Betroffenen nicht auf seine Wunde zu reduzieren, sondern sein gesundheitsbezogenes Selbstmanagement zu fördern und das individuelle Kontrollgefühl zu stärken.
Schmerzen mindern
Schmerzen sind für den Patienten die erheblichste physische Beeinträchtigung. Schmerzerleben und -erwartung senken die Lebensqualität. Bei Malignom-assoziierten Wunden kann es zu Schmerzen durch Ischämie, Infektion, Ödemen oder Mazeration von Wundrand und -umgebung kommen. Manchmal drückt auch das Tumorwachstum schmerzhaft auf umgebendes Gewebe. Eine adäquate systemische, analgetische Schmerzbehandlung ist daher ein wesentlicher Faktor für die Wiederherstellung und Gewährleistung einer erträglichen Lebenssituation. Schmerzen sind grundsätzlich ernst zu nehmen, da jeder Mensch diese individuell anders empfindet. Anamnestisch ist zu erfassen, ob die bisherige Schmerzmedikation ausreichend ist, ob diese regelmäßig und unter Beachtung des Wirkeintritts eingenommen wird, ob es Nebenwirkungen gibt, die entsprechend mit zu behandeln sind und ob es eine Bedarfsmedikation gibt. Bei Bedarf ist ein Schmerztherapeut hinzuzuziehen. Der Stufenplan zur Behandlung von Schmerzen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dient als Grundlage für die systemische, individuell dosierte Behandlung von Dauerschmerzen (Abb.2). Hierbei sind auch notwendige Adjuvantien zu beachten, z. B. Laxanzien bei der Gabe von Opiaten.
Abb. 2: WHO Stufenschema, Copyright© Kerstin Protz, Hamburg
Verständnis, Zuspruch und Einfühlungsvermögen, eine gesunde Vertrauensbasis sowie ein wertschätzender Umgang miteinander sind die Grundlage der erfolgreichen Schmerztherapie. Da der Verbandwechsel eine zusätzliche, wiederkehrende Stresssituation für den Patienten bedeutet, ist zeitnah vorab ein schnellwirksames Analgetikum zu verabreichen. Eine atraumatische Wundversorgung, beugt unnötigen zusätzlichen Schmerzen vor. Um Ängste zu nehmen, erfolgt vorab eine Aufklärung über die anstehende Behandlung. Zudem können Stoppsignale vereinbart werden. Verbandwechsel sollten grundsätzlich nach dem Prinzip „so häufig wie nötig – so selten wie möglich“ erfolgen. Dieser Vorgang kann durch entsprechende Strategien und Techniken für den Betroffenen erträglicher gestaltet werden:
- Bei Bedarf Pausen, Patienten immer wieder ansprechen und ablenken oder beruhigen,
z. B. Hand halten - Bequeme Positionierung und angepasste Hilfsmittelversorgung
- Fenster schließen, um schmerzauslösende Zugluft zu vermeiden
- Schonendes Ablösen der Wundauflage, z. B. durch vorheriges Anfeuchten mit einer Wundspüllösung oder mit lösungsmittelfreiem Pflasterlöser
- Mechanischen Reizungen verbeugen: z. B. durch Spülen statt Wischen, Nutzung von weichen Vlies - anstelle von rauen Mullkompressen oder speziellen Reinigungspads
- Folienverbände durch Überdehnen der Folie parallel zur Haut ablösen, um Verletzungen und Schmerzen zu vermeiden
- Um Kältereize zu vermeiden, angewärmte Wundspüllösungen verwenden
- Wunde zügig wieder verbinden, um Spannungsreizen durch Austrocknen der Wunde vorzubeugen
- Verbandmittel ohne Klebeflächen oder mit hautfreundlichen Beschichtungen, z. B. Silikon, bevorzugen, die sich atraumatisch entfernen lassen
- Um Einschnürungen durch elastische Mullbinden oder Netzverbände zu vermeiden, Sekundärverband nicht zu stramm anbringen; alternativ Nutzung von elastischen Schlauchverbänden (z. B. Tubifast®)
In der S3-Leitlinie wird bei Wundschmerzen zudem die Nutzung von lokal eingesetzten Analgetika empfohlen, z. B. Morphingel (Off-Label-Use). Dies ist mindestens einmal täglich zu applizieren. Allerdings ist die Wirkung von Morphingel auf periphere Schmerzrezeptoren bei bestimmten Wundzuständen, z.B. nekrotisches Gewebe, fraglich. Alternativ gibt es Lokalanästhetika, z. B. EMLA®-Creme oder ANESDERM ®. Ihr Einsatz bei malignen Wunden gilt als Off-Label-Use, da sie nur eine Zulassung für Ulcus cruris haben. Bestehende Lymphödeme können durch Druck und Spannung zusätzliche Schmerzen auslösen und die Exsudation erhöhen. Daher empfiehlt die S3-Leitlinie in solchen Fällen eine manuelle Lymphdrainage. Da eine mögliche fortschreitende Metastasierung durch die manuelle Lymphdrainage (MLD) kritisch diskutiert wird, ist dies allerdings individuell abzuwägen. Das direkte Tumorgebiet ist bei der MLD grundsätzlich auszusparen.
Exsudatmanagement
Durch körpereigene Reinigungsprozesse treten bei Malignom-assoziierten Wunden hohe Exsudatmengen auf, da der Körper versucht, Zelltrümmer und Abfallstoffe aus der Wunde zu spülen. Hinzu kommt Exsudataustritt als Reaktion auf mechanische Reize und Infektion. Die übermäßige Feuchtigkeit belastet nicht nur die Haut, sondern auch die Lebenssituation des Betroffenen. So sind Kleidungsauswahl, Freizeitgestaltung sowie gesellschaftlicher Umgang erschwert, woraus eine zusätzliche psychische Belastung resultiert. Mit dem Flüssigkeitsverlust durch erhebliche Exsudation gehen zudem wichtige Elektrolyte und Proteine verloren. Diese sind dem Körper durch eine angepasste Ernährung wieder zuzuführen. Integraler Bestandteil ist immer die ursächliche Behandlung des Exsudataufkommens, z. B. durch Beseitigung einer Infektion.
Ein optimiertes Exsudatmanagement bei Menschen mit Malignom-assoziierten Wunden beinhaltet z. B.:
- Einsatz von Verbandmitteln, die viel Exsudat binden und zuverlässig halten können (Retention), z. B. Vlieskompressen mit Superabsorber; sind bei Bedarf auch mit hautfreundlichen Beschichtungen (z. B. Silikon) erhältlich oder kombiniert mit Wunddistanzgittern einsetzbar, um einem schmerzhaften Verkleben mit dem Wundgrund vorzubeugen.
- Mazerationen von Wundrand und -umgebung durch Einsatz transparenter Hautschutzfilme vorbeugen
- Spezielle Transferschaumverbände (z. B. Mepilex® Transfer) ermöglichen den Wechsel der gesättigten Sekundärauflage beim gleichzeitigen Belassen der primären Wundauflage. Sie leiten das Wundexsudat nur vertikal in die Sekundärwundauflage (z. B. Vlieskompresse mit Superabsorber) weiter und schützen so Wundrand und -umgebung. Transferschäume können bis zu sieben Tage auf der Wunde verbleiben, gewährleisten so eine längere Wundruhe und reduzieren Schmerzen durch seltenere Verbandwechsel und die Minimierung von Manipulation an der Wunde.
- Bestehende Wundhöhlen sind entsprechend auffüllen: z. B. mit Alginaten, Hydrofaser oder Cavity-Schaumverbänden
Bei kleineren Wunden mit hoher Exsudation oder bei Fistelbildung Nutzung von Stoma-bzw. Drainagebeuteln; zur Geruchsminimierung können Beutel mit Kohlefilter verwendet werden.
Abb. 3: Wunde mit hoher Exsudatmenge und Mazeration, Copyright© Erwin Kiederle, Erkrath
TIPP!
Eine lokale Unterdrucktherapie kann bei hoher Exsudation und gleichzeitig intensiver Geruchsbildung hilfreich sein. Sie fängt große Mengen an Exsudat auf, schließt diese und den begleitenden Geruch zuverlässig ein, mindert Wundinfekte und verlängert das Verbandwechselintervall. Die lokale Unterdrucktherapie gilt von Herstellerseite bei Menschen mit malignen Wunden als kontraindiziert und stellt somit eine rein palliative Maßnahme dar – es handelt sich um eine Off-Label-Therapie.
Gerüche reduzieren
Ursächlich für Geruch können Zellzerfall des Tumorgewebes sowie Exsudat und geruchsbildende Erreger sein. Gegen Körper- und Mundgeruch ist ggf. der Einsatz von Chlorophylldragees (z. B. Stozzon®) hilfreich. Gerüche in der direkten Patientenumgebung können durch Kaffeepulver, Katzenstreu, Rasierschaum, Essigwasser oder auch synthetische Geruchsbinder sowie Geruchsbinder auf Basis ätherischer Öle gemindert werden. Eine mehrmals tägliche Raumlüftung sowie das regelmäßige Wechseln von Kleidung und Bettwäsche sind eine wertvolle Unterstützung. In Einzelfällen ist, orientiert an den Vorlieben des Patienten, eine Aromatherapie einzuleiten. Allerdings können Düfte auch einen unangenehmen Geruchsmix mit dem Wundgeruch erzeugen, der ggf. Übelkeit auslöst oder verstärkt. Hierfür sind geschulte Aromatherapeuten hinzuzuziehen. Folgende Versorgungsoptionen können Gerüche im Rahmen der palliativen Wundversorgung minimieren:
- Per sorgfältiger Wundreinigung werden Zelltrümmer, Abfallstoffe, Exsudat und Erreger reduziert
- Hypochlorige Wundspüllösungen (z. B. Granudacyn®) binden zusätzlich Gerüche
- Bei kritischer Kolonisation und Infektion zur Keim- und Geruchsreduktion Nutzung von Wundantiseptika z. B. auf Octenidin- oder Polihexanidbasis
- Ggf. chirurgisches Débridement von nekrotischem Gewebe zur Geruchsreduktion > Nutzen ist gegenüber den Risiken und Belastungen abzuwägen
- Verbandmittel einsetzen, die Keime binden bzw. abtöten, z. B. Aktivkohle mit/ohne Silber, Wundauflagen mit Silber oder Polihexanid oder hydrophobe keimbindende Produkte sowie Produkte, die viel Exsudat aufnehmen und halten können, z. B. Vlieskompressen mit Superabsorbern
Chlorophyll wirkt auf natürliche Weise geruchsbindend und kann als Off-Label-Therapie in Apotheken als 2-2,5 % Chlorophylllösung zubereitet werden. Es wird auf die wundabgewandte Kompressenseite geträufelt. Die S3-Leitlinie empfiehlt zudem die Gabe von Antibiotika lokal als auch systemisch als Off-Label-Therapie zur Geruchsminimierung. Antibiotika, wie Metronidazol, reduzieren die anaeroben Keime insbesondere in den tieferen Wundschichten, die mit keimreduzierenden Produkten nicht erreicht werden können. Da eine lokale Applikation mindestens einmal täglich erfolgen sollte, ist die Belastung durch häufige Verbandwechsel zusammen mit dem Patienten abzuwägen.
Blutung stillen
Plötzliche und starke Blutungen sind oft eine begleitende Komplikation von Malignom-assoziierten Wunden. Ein bestehendes Blutungsrisiko sollte vorab mit dem Betroffenen und seinen Angehörigen besprochen werden, damit die psychische Belastung im Ernstfall möglichst gering ist und alle Beteiligten die Blutung korrekt einschätzen und besonnen reagieren. Ein atraumatischer Verbandwechsel beugt Kontaktblutungen vor. Auf Basis einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung kommt eine angepasste Medikation zum Einsatz, die hinsichtlich gerinnungshemmender Präparate zu prüfen ist. Wenn möglich, ist eine Verbesserung der Blutgerinnung anzustreben. Bei stärkeren Blutungen sind ein Druckverband oder eine Kompression zu erwägen. Bei leichten Blutungen ist eine lokale Kühlung zur Vasokonstriktion hilfreich. Alternativ können Alginate oder Kollagenprodukte genutzt werden. Bei stärkeren Blutungen können als Off-Label-Therapie lokal Hämostyptika, z. B. Tabotamp® oder Nasentropfen, z. B. Otriven® sowie mit Adrenalin 0,1 % getränkte Kompressen genutzt werden. Zudem gibt es die Möglichkeit Antifibrinolytika oral oder intravenös zu verabreichen.
TIPP!
Bei bestehendem Blutungsrisiko ist dunkle bzw. farbige Bettwäsche zu verwenden, um einer Panikreaktion des Patienten angesichts großer Blutflecken vorzubeugen.
Juckreiz minimieren
Juckreiz (Pruritus) kann durch Reizung der Nervenendigungen bei Dehnung oder infolge einer Austrocknung der Haut hervorgerufen werden. Tritt dieser bei Malignom-assoziierten Wunden auf, können Entzündungsreaktionen, Unverträglichkeiten oder Allergie auf Verbandmittel mögliche Auslöser sein. Diese sind auf Basis einer dermatologischen Abklärung zu ermitteln und wenn möglich, entsprechend auszuschalten. Zur Reduzierung der Belastung durch Juckreiz können folgende Strategien hilfreich sein:
- Kühlung des betroffenen Bereichs
- Atmungsaktive Kleidung und Bettwäsche nutzen
- Behandlung mit TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation) zwischen Wunde und Wirbelsäule auf der intakten Haut
- Physiotherapeutische Anleitung in Entspannungstechniken
- Bei Bedarf weiterführende dermatologische Abklärung
- Ggf. lokale Schmerztherapie mit Morphingel NRF
FAZIT: |
„Es geht nicht primär darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben!“ So formulierte es die englische Ärztin Cicely Saunders, die als bedeutende Begründerin der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin gilt. Ein Schwerpunkt der palliativen Wundversorgung ist somit die Symptomlinderung. Diese orientiert sich an den Wünschen und Bedürfnissen des Betroffenen und erfolgt unter Beachtung seiner Würde und Lebensqualität. |
Quellen:
- Dissemond J, Protz K, Erfurt-Berge C, Kröger K, Kottner J. Wundbehandlung ohne kurative Zielsetzung: Ein Positionspapier der Initiative Chronische Wunden (ICW). e.V. Hautarzt 2022; 73: 550-555.
- European Oncology Nursing Society (EONS). Recommendations for the Care of Patients with Malignant Fungating Wounds. 2015
- Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung, Langversion 2.1, 2020,AWMF-Registernummer: 128/001OL, https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/palliativmedizin/ (letzter Zugriff am: 07.04.2023)
- Probst S, Arber A, Faithfull S. Malignant fungating wounds: A survey of nurses’ clinical practice in Switzerland. European Journal of Oncology Nursing, 2009; 13(4): 295-298.
- Protz K (2022): Moderne Wundversorgung, 10. Auflage, Elsevier Verlag, München
- Sepúlveda C et al. Palliative Care: the World Health Organisation`s global perspective. Journal of Pain and Symptom Management, 2002; 24(2): 91-96.
Über die Autorin: Kerstin Protz
Krankenschwester, Projektmanagerin Wundforschung am Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Fachautorin, Dozentin im Bereich Pflege von Menschen mit chronischen Wunden, Vorstandsmitglied Wundzentrum Hamburg e. V. und Deutscher Wundrat e. V.
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